Zwölf
ethische Grundsätze
1.
Die ganze Menschheit ist als Einheit zu betrachten.
Einheit und Vielfalt stellt für die Bahai dabei
keinen Widerspruch dar. Kulturelle Vielfalt wird begrüßt
und gefördert, die Menschheit zugleich als Einheit
betrachtet, da alle Menschen (und Religionen) durch
das Wirken derselben Gottheit erschaffen wurden. Baha’u’llah
formulierte: „Die Erde ist nur ein Land, und alle
Menschen sind seine Bürger.“
2. Alle Menschen müssen
die Wahrheit selbständig erforschen.
Der Glaube eines Menschen hängt nur von ihm selbst
ab. Es gibt daher keinen Klerus, der den Glauben vermittelt.
Die Heiligen Schriften sollen von allen Gläubigen
selbst gelesen und interpretiert werden. Das Menschenbild
erzieht zu Mündigkeit und Selbstbestimmtheit. In
den Gemeinden in Südamerika, Afrika und Indien
wurden zahlreiche Alphabetisierungsprogramme insbesondere
für junge Frauen gestartet.
3. Alle Religionen haben
eine gemeinsame Grundlage. Die Bahai
lehren, dass sich derselbe Gott in allen Religionen
offenbart. Jede Religion habe zeitbezogene und ewige
Aspekte. Während sich soziale Gebote unterschieden,
weil sie Zeit und Kulturkreis angepasst seien, sei der
mystische Kern der Religionen immer derselbe, obwohl
er in unterschiedliche Worte gefasst werde.
4. Die Religion muss die
Ursache der Einigkeit und Eintracht unter den Menschen
sein. Religion, die zu Zwietracht oder
gar Gewalt führe, gilt als Missbrauch der Religion.
Wenn Religion zu Zwist und Uneinigkeit führe, so
Abdu’l Baha, sei es besser, auf sie zu verzichten.
5. Die Religion muss mit
Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen.
Nach dem Glauben der Bahai erklärt die Religion
Zusammenhänge, die jenseits des wissenschaftlich
Erfahrbaren liegen. Wissenschaften und Religionen sollten
sich daher ergänzen und nicht widersprechen. Religion
ohne Wissenschaft führe zu Aberglaube. Wissenschaft
ohne Religion zu Materialismus. Beides wird abgelehnt.
6. Mann und Frau haben
gleiche Rechte. Die Bahai sehen die
Menschheit mit der Offenbarung Baha’u’llahs
in ein neues Zeitalter eintreten, in welchem „Gewalt
ihr Gewicht verliert“ und „die männlichen
und weiblichen Elemente der Kultur besser ausgeglichen
sein werden“. Das „neue Zeitalter“
werde weniger männlich und mehr von „weiblichen
Leitbildern“ – wie zum Beispiel Intuition
und Fürsorge – durchdrungen sein. Innerhalb
der Gemeindeordnung hatten Frauen von Anfang an aktives
und passives Wahlrecht. Heute bestehen die Institutionen
in Deutschland etwa zur Hälfte aus Frauen. Das
Berateramt wird in Deutschland von zwei Frauen geleitet.
7. Vorurteile jeglicher
Art müssen abgelegt werden. Damit
sind sowohl rassistische wie religiöse Vorurteile
gemeint. So gibt es bei den Bahai zum Beispiel keinen
Erlösungsglauben, der die Menschen in „Gläubige“
und „Ungläubige“ einteilt.
8. Der Weltfrieden muss
verwirklicht werden. Weltfriede ist
für die Bahai keine rein eschatologische Erwartung,
sondern bedarf des menschlichen Bemühens. Weltfriede
impliziert Religionsfriede und die Anerkennung der Gleichwertigkeit
aller Menschen, gleich welcher Ethnie oder Klasse. Abrüstung
und die Etablierung eines Völkerbundes sind die
ersten Schritte auf diesem Weg.
9. Beide Geschlechter
müssen die beste geistige und sittliche Bildung
und Erziehung erfahren. Damit ist nicht
nur die Erziehung in der Familie gemeint, sondern die
allgemeine Schulpflicht. Reichen die Mittel nicht für
alle Kinder aus, werden Mädchen als „erste
Erzieher der nächsten Generation“ bevorzugt.
10. Die soziale Frage
muss gelöst werden. Abdu’l
Baha bezog sich mit dieser Aussage 1912 auf die sozialpolitischen
Probleme des Industriezeitalters und die damit verbundenen
gesellschaftlichen Spannungen. Die Bahai engagieren
sich in wirtschaftlicher wie gesellschaftlicher Hinsicht
für Ausgleich und Gerechtigkeit im Globalisierungsprozess.
Organisationen wie das European Bahai Business Forum
befassen sich damit inhaltlich.
11. Es muss eine Welthilfssprache
und eine Einheitsschrift eingeführt werden.
Schon Baha’u’llah betonte die Notwendigkeit
einer Sprache, die die Völker der Erde gemeinsam
wählen sollten, um sich damit weltweit verständigen
zu können. Diese soll neben der Muttersprache erlernt
werden. Faktisch ist dies innerhalb der Bahai-Gemeinde
inzwischen Englisch, was nicht nur im Bahai-Weltzentrum
genutzt wird, sondern auch als Konferenzsprache bei
internationalen Tagungen.
12. Es muss ein Weltschiedsgerichtshof
eingesetzt werden. Trotz der zahlreichen
Friedensprophezeiungen Baha’u’llahs gehen
die Bahai nicht davon aus, dass sich alle lokalen und
globalen Konflikte künftig von allein lösen
werden. Zur Klärung solcher Konflikte bedarf es
nach Auffassung der Bahai nicht nur eines internationalen
Gerichtshofes, sondern darüber hinaus einer international
akzeptierten Polizei, die bei Bedarf berechtigt ist,
in gewaltsame Konflikte friedensbewahrend einzuschreiten.
In den Heiligen Schriften Baha’u’llahs heißt
es: „Die Zeit muss kommen, da die gebieterische
Notwendigkeit für die Abhaltung einer ausgedehnten,
allumfassenden Versammlung der Menschen weltweit erkannt
wird. Die Herrscher und Könige der Erde müssen
ihr unbedingt beiwohnen, an ihren Beratungen teilnehmen
und solche Mittel und Wege erörtern, die den Grund
zum Größten Weltfrieden unter den Menschen
legen.“
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