Die kleine historisch bedeutsame Stadt Akka liegt an einer Bucht des Mittelmeeres gegenüber dem Berg Karmel. Hier fand Baha'u'llah, der Begründer der Baha'i-Weltreligion Seine letzte Ruhestätte. Er war aus Seinem Heimatlande Persien verbannt worden, da Er Sich dem Glauben Siyyid 'Ali Muhammads, bekannt unter dem Namen „Bab“, d.h. das „Tor“, zugewandt hatte. Der Bab verkündete Reformen und ein geistiges Wiedererwachen der Religion in jenem Lande. Nachdem der Bab in Tabriz im Jahre 1850 auf Befehl der Regierung Nasiri'd Din Shahs hingerichtet worden war, widmete Baha'u'llah Sein Leben dieser erneuernden Bewegung. Er wurde im Kerker gefangengehalten, Sein Eigentum und Seine Besitztümer wurden beschlagnahmt und Er Selbst aus Persien verbannt.
Im Jahre 1863 verkündete Er in Baghdad, Seiner ersten Zufluchtsstätte nach Seiner Vertreibung, die Errichtung der Baha'i-Weltreligion. Sein Einfluß und Ruhm nahmen in einem solchen Maße zu, daß der Sultan der Türkei, Abdu'l-Aziz, beunruhigt und argwöhnisch wurde. Er verbannte Baha'u'llah zuerst nach Konstantinopel, dann nach Adrianopel und endlich nach 'Akka, wo er Ihn in dem dortigen Gefängnis einkerkern ließ. Die Familie Baha'u'llah und einige wenige Anhänger folgten Ihm dorthin. Zwei Jahre später wurden Er und Seine Begleiter in verschiedene Häuser gebracht, wo sie sieben Jahre lang in Haft blieben, bis man ihnen zuletzt gestattete, außerhalb der Stadtmauern eine Wohnung zu nehmen.
Während dieser langen und schmerzensreichen Zeit der Verbannung begann Baha'u'llah Seine zahlreichen Schriften zu verfassen: Über die geistige Entwicklung des Menschen, die stetig sich erneuernde Gottesoffenbarung durch Seine Manifestationen und die wirtschaftliche und soziale Ordnung der Welt. Schon vor der Wende zum 20. Jahrhundert hatte Er auf die gegenseitige Abhängigkeit der Menschen hingewiesen und auf die dringende Notwendigkeit zur Schaffung eines mächtigen Weltparlamentes aller Nationen und eines Weltschiedsgerichtshofes, der den Frieden errichten und behaupten sollte, aufmerksam gemacht. Als Baha'u'llah 1892 starb, folgte Ihm auf Seinen ausdrücklichen Wunsch Sein Sohn, der in Syrien unter dem Namen Abbas Effendi, allgemein aber als Abdu'l-Baha bekannt war.
Es wurde Abdu'l-Baha während Seiner Gefangenschaft in Akka, das damals ein Teil des türkischen Reiches war, erlaubt, eine bestimmte Zahl von Besuchern zu empfangen. Hier führte ich in den kritischen Jahren 1904-06, als Er dauernd von der Verbannung in entlegene Wüstengefängnisse bedroht war, zwanglose Gespräche mit Ihm. Damit größte Genauigkeit in der Berichterstattung gewährleistet wurde, richtete ich es so ein, daß stets einer der vier untengenannten Perser zugegen war: Mirza Hadiy, der Schwiegersohn Abdu'l-Bahas und Vater des späteren Hüters des Baha'i-Glaubens, Shoghi Effendi, Mirza Muhsin, ebenfalls ein Schwiegersohn, Mirza Nuridin und Mirza Munir, die beiden Sekretäre Abdu'l-Bahas. Nach der Unterhaltung legte ich Abdu'l-Baha den persischen Text vor. Er las ihn, änderte hier und da ein Wort oder eine Zeile mit Seiner Rohrfeder, unterzeichnete und versiegelte das Ganze mit Seinem Siegel. Es geschah dies in der gleichen Weise wie bei Seinen Tablets, denen Er damit allgemeine Gültigkeit verlieh. Die persischen Originaltexte wurden 1936 dem Hüter zugesandt und befinden sich heute im Baha'i-Archiv.Nach der Revolution des ottomanischen Reiches 1908 und dem Untergang des Sultanats befreiten die Jungtürken die politischen und religiösen Gefangenen der früheren Regierung. Wenige Jahre später konnte Abdu'l-Baha Ägypten, Europa und Nordamerika besuchen. Hier empfing Er alle die, die Ihn suchten, nahm Einladungen an, sprach in Tempeln, Kirchen, Universitäten, vor den verschiedensten Glaubensrichtungen, z.B. vor Theosophen, den Mitgliedern der Heilsarmee und vor privat geladenen Hausgästen von Freunden. 1921 starb Abdu'l-Baha in Haifa, am Fuße des Berges Karmel. Sein letzter Wille bestimmte Seinen Enkel Shoghi Effendi zum ersten Hüter des Baha'i-Glaubens. Dieses Amt nahm Shoghi Effendi mit größter Befähigung wahr. Er erfüllte die von Abdu'l-Baha gestellte Aufgabe, in allen Ländern der Erde den administrativen Aufbau des Glaubens zu verwirklichen. Als der Hüter 1957 starb, hatte sich der Glaube in mehr als 250 Ländern verbreitet, und er dehnt sich auch heute fortwährend weiter aus.
Die Regierung des heutigen Israel hat die Baha'i-Religion anerkannt als ebenso bedeutsam wie die übrigen großen Glaubensbekenntnisse, die im Heiligen Land durch Gemeinden, Einrichtungen und Gebäude vertreten sind. So befinden sich hier die Grabstätten des Bab, Baha'u'llah und Abdu'l-Bahas und der Verwaltungsmittelpunkt der gesamten Baha'i-Weltgemeinde.
Laura Dreyfus Barney
Übersetzung des französischen Vorwortes zu „Les Leqons de Saint Jean d'Acre“.
VORWORT ZUR ENGLISCHEN AUSGABE
„Ich widmete dir Augenblicke der Ermüdung“, waren die Worte Abdu'l-Bahas, als Er nach der Beantwortung einer meiner Fragen von der Tafel aufstand.
Wie an diesem Tage, so war es immer: Zwischen den Arbeitsstunden fand Seine Ermüdung Erholung in neuer Tätigkeit. Gelegentlich war es Ihm möglich, ausführlich zu sprechen, aber oft wurde Er nach wenigen Augenblicken abgerufen, obwohl das Thema längere Zeit zur Behandlung erfordert hätte. Dann konnten Tage, ja Wochen vergehen, in denen Er keine Gelegenheit fand, mich zu unterweisen. Aber ich konnte gut geduldig sein, denn ich hatte stets die große Unterweisung vor Augen - die Unterweisung durch Sein persönliches Leben.
Während meiner verschiedenen Besuche in Akka wurden diese Ausführungen in persischer Sprache, während Abdu'l-Baha sprach, niedergeschrieben, nicht in der Absicht, sie zu veröffentlichen, sondern um sie zu meinen künftigen Studien aufzubewahren. Zunächst mußten sie der wörtlichen Übersetzung des Dolmetschers, später, als ich anfing, persisch zu verstehen, meinem begrenzten Wortschatz angepaßt werden. Daraus erklären sich die Wiederholungen der Vergleiche und Redewendungen, denn niemand beherrschte seine Sprache vollendeter als Abdu'l-Baha. In diesen Unterweisungen ist Er der Lehrer, der sich Seinem Schüler anpaßt, und nicht der Redner und Dichter. Dieses Buch berührt nur einige Gesichtspunkte der Baha'i-Lehre, die ihrer Botschaft nach umfassend ist und jedem Fragenden die Antwort gibt, die seiner besonderen Entwicklungsstufe und dem, was ihm nottut, entspricht.
In meinem Falle waren die Lehren in einfacher Form gegeben, meinem damaligen unausgebildeten Wissen entsprechend. Daher sind sie keineswegs vollständig und erschöpfend, wie dies nach dem Inhaltsverzeichnis erscheinen mag. Das Inhaltsverzeichnis wurde nur beigefügt, um auf die behandelten Themen hinzuweisen.
Da ich glaubte, daß das, was mir so wertvoll war, auch anderen von Nutzen sein könnte, weil doch alle Menschen trotz ihrer Verschiedenheiten in ihrem Suchen nach der Wahrheit eins sind, bat ich Abdu'l-Baha um die Erlaubnis, diese Gespräche zu veröffentlichen.
Diese Lehren wurden ursprünglich nicht in einer bestimmten Reihenfolge gegeben, sondern jetzt erst zur Erleichterung für die Leser nach Themen geordnet. Der persische Text wurde genau übersetzt, manchmal zum Nachteil des englischen. Nur wo die wörtliche Wiedergabe zu verworren und unverständlich schien, wurden einige Änderungen angebracht. Die eingeschobenen Worte, die notwendig waren, um den Sinn klarer zu machen, wurden nicht besonders bezeichnet, um zu häufige Unterbrechungen des Textes durch technische oder erklärende Hinweise zu vermeiden ...
Mai 1907
Laura Clifford Barney
