Nachdem Wir gezeigt haben, daß es den menschlichen Geist gibt¹, wollen Wir seine Unsterblichkeit beweisen.
¹ Vgl. Unterschied zwischen Mensch und Tier
Die Unsterblichkeit des Geistes wird in den heiligen Büchern erwähnt; sie ist die wesentliche Grundlage der göttlichen Religionen. Nun heißt es, daß es zwei Arten von Bestrafung und Belohnung gibt. Erstens, die Belohnungen und Bestrafungen dieser Welt; zweitens, diejenigen der anderen Welt. Aber Paradies und Hölle des Daseins sind in allen Welten Gottes zu finden, ob in dieser Welt oder in den geistigen himmlischen Welten. Diese Belohnungen zu verdienen heißt das ewige Leben gewinnen. Darum sagte Christus: »Handelt so, daß ihr ewiges Leben ererbt und daß ihr aus Wasser und Geist geboren werdet, damit ihr ins Reich Gottes kommt.«
Die Belohnungen dieses Lebens sind die Tugenden und Vollkommenheiten, die die Wirklichkeit des Menschen schmücken. Zum Beispiel war der Mensch unaufgeklärt und wird erleuchtet, er war unwissend und wird weise, er war unachtsam und wird wachsam, er schlief und wird erweckt, er war tot und wird lebendig, er war blind und wird sehend, er war taub und wird hörend, er war weltlich und wird himmlisch, er war materiell und wird geistig. Durch diese Belohnungen wird er geistig geboren und ein neues Geschöpf. Er wird zur Offenbarung des Verses im Evangelium, wo von den Jüngern gesagt wird, daß sie nicht von dem Geblüt noch von dem Willen des Fleisches noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind¹; das heißt, sie wurden von den tierischen Merkmalen und Eigenschaften, die die Kennzeichen der menschlichen Natur sind, befreit und mit den göttlichen Eigenschaften, die die Gabe Gottes sind, ausgezeichnet; dies ist die Bedeutung der zweiten Geburt. Für solche Menschen gibt es keine größere Qual, als von Gott fern zu sein, und keine schmerzlichere Strafe als Lasterhaftigkeit, schlechte Eigenschaften, niedrige Gesinnung und Verstrickung in sinnliche Genüsse. Wenn sie durch das Licht des Glaubens von der Dunkelheit dieser Laster befreit, durch das Strahlen der Sonne der Wirklichkeit erleuchtet und mit allen Tugenden geadelt werden, so halten sie dies für die größte Belohnung und wissen, daß es das wahre Paradies ist. In gleicher Weise betrachten sie es als geistige Bestrafung, das heißt als Qual und Strafe des Daseins, der natürlichen Welt unterworfen zu sein, Gott fern zu sein, roh und unwissend zu sein, fleischlichen Gelüsten zu unterliegen und von sinnlichen Schwächen gefesselt zu sein; mit schlechten Eigenschaften, wie Falschheit, Herrschsucht, Grausamkeit und Abhängigkeit von den Dingen der Welt behaftet und voll teuflischer Gedanken zu sein - für sie sind dies die größten Strafen und Qualen.
¹ Johannes 1:13
Und so sind die Belohnungen der anderen Welt das ewige Leben, das in allen heiligen Büchern deutlich erwähnt wird, die göttlichen Vollkommenheiten, die immerwährenden Gnadengaben und unvergängliche Glückseligkeit. Die Belohnungen der anderen Welt sind die Vollkommenheiten und der Friede, die nach Verlassen dieser Welt in den geistigen Welten erlangt werden, während die Belohnungen dieses Lebens die wahrhaftigen, strahlenden Vollkommenheiten sind, die in dieser Welt verwirklicht werden. Sie sind die Ursache des ewigen Lebens, denn sie sind der wahre Fortschritt des Daseins. Es ist wie der Mensch, der von der embryonalen Welt zur Stufe der Reife schreitet und der zur Offenbarung dieser Worte wird: »Gepriesen sei Gott, der herrlichste Schöpfer.« Die Belohnungen der anderen Welt sind Friede, geistige Tugenden, verschiedene geistige Gaben im Reiche Gottes, Erfüllung der Wünsche von Herz und Seele und Begegnung mit Gott in der Welt der Ewigkeit. In gleicher Weise bestehen die Strafen der anderen Welt, das heißt ihre Qualen, im Beraubtsein der besonderen göttlichen Segnungen und vollkommenen Gnadengaben und im Herabsinken auf die niedrigste Stufe des Seins. Jeder, der von diesen göttlichen Gunstbezeigungen ausgeschlossen ist, wird, obwohl er nach dem Tode weiterbesteht, vom Volk der Wahrheit als tot angesehen.
Der logische Beweis für die Unsterblichkeit des Geistes ist, daß von einem nicht existierenden Ding kein Zeichen ausgehen kann; das heißt, es ist unmöglich, daß aus reinem Nichtsein Zeichen erscheinen, denn Zeichen sind die Wirkung eines Daseins, und die Wirkung hängt vom Dasein der Ursache ab. So kann von einer nicht existierenden Sonne kein Licht ausstrahlen, können keine Wellen aus einem nicht vorhandenen Meer erscheinen, und aus einer nicht existierenden Wolke fällt kein Regen; ein nicht vorhandener Baum trägt keine Früchte, und ein nicht existierender Mensch kann weder etwas kundtun noch hervorbringen. Solange also Zeichen eines Daseins erscheinen, sind sie ein Beweis dafür, daß es einen Eigner des Zeichens gibt.
Bedenke, daß das Königreich Christi noch heute besteht. Wie könnte von einem nicht existierenden König ein Reich von solcher Größe errichtet werden? Wie können aus einem nicht vorhandenen Meer die Wogen sich so hoch erheben? Wie können von einem nicht existierenden Garten solch wohlriechende Düfte hervorgebracht werden? Beachte, daß von keinem Dasein, sei es ein Mineral, eine Pflanze oder ein Tier, irgendein Zeichen, eine Wirkung oder ein Einfluß zurückbleibt, nachdem seine Teile zerstreut und seine Elemente aufgelöst sind. Nur die menschliche Wirklichkeit und der menschliche Geist sind es, die auch nach dem Zerfall der Teile, der Zersetzung der Elemente und der Auflösung der Zusammensetzung fortbestehen, weiterhandeln und Kräfte besitzen.
Diese Frage ist sehr tiefgründig, denke genau über sie nach! Es ist ein verstandesmäßiger Beweis, den Wir geben, damit ihn die Klugen auf der Waage der Einsicht und Gerechtigkeit prüfen. Wenn aber der menschliche Geist sich am Reiche Gottes erfreut und zu ihm hingezogen wird, wenn sich die innere Sicht auftut, das geistige Hören erstarkt und die geistigen Gefühle vorherrschen, dann wird er die Unsterblichkeit des Geistes so deutlich wie die Sonne erkennen und die frohen Botschaften und Zeichen Gottes werden ihn umfassen.
Morgen werden Wir weitere Beweise geben.
aus Abdu'l-Baha, Beantwortete Fragen